Vita

"Das Künstlerische ist grenzenlos wie die Metamorphosen in der Natur. Es setzt sich beständig über das Durchschnittliche im Empfinden, Denken und über die vom Menschen gemachten Gesellschaftsgesetze hinweg, weil es vom Urleben ausgeht.“ 

Willy Baumeister

Nicola Rakutt

Jahrgang 1965

Geboren in Stuttgart

Diplom Kunsttherapeutin

Schwerpunkt Druckgrafik und Malerei

 

 

1995-97: Aufenthalte in Südamerika, intensive Auseinadersetzung mit Malerei und Fotografie

Seit 1998: Teilnahme an zahlreichen Gruppen- und Einzelausstellungen

Seit 2001: lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Bad Wimpfen mit eigenem Atelier und Galerie

 

Worte machen über die Bildermacherin Nicola Rakutt

 

Es fällt schwer, nicht in ihren Bann geschlagen zu werden,  in den Bann der Bildermacherin Nicola Rakutt, die heute im württembergischen Wimpfen lebt und arbeitet. Sie hat immer ein ehrliches Lächeln parat, das ansteckt und sich zum herzhaften Lachen auswachsen kann. Sie liebt die Menschen und das Leben, auch wenn sie um die schwierigen Seiten der menschlichen Existenz weiß, sie selbst auch kennengelernt hat. Und sie ist ein Mensch, dem man unangefochten glaubt, was sie sagt und was sie tut. Ausgebildet als Kunsttherapeutin hat sie manch dunkle, ambivalente, aber auch viele freudige Erlebnisse in sich aufgenommen, verarbeitet und durch die Kraft ihrer Persönlichkeit in Kunst übersetzt. Und ihre Kunst ist wie sie, positiv, lebensbejahend, selbst in ihrer Kritik, Nachdenklichkeit oder der Reflektion düsterer Erlebnisse. Nicola Rakutts Gemälde leben, weil sie mit ihnen im Schaffensprozess in einem langen und ständigen Dialog und emotionalen Reifungsprozess lebt,  Zwiesprache mit dem Bild hält, sich selbst und das Bildwerk ständig verändert, manches mal, Schichten ganz entfernt, „rückbaut“ und wieder neu aufbaut,  und das Bild, erst wenn sie ihm wirklich „Leben“ eingehaucht hat, wenn der Dialog mit dem Bild zu einer beiderseitigen inneren, inhaltlichen und emotionalen Harmonie geführt hat,  in sein „Eigenleben“  und das des Betrachters entlässt.

 

Rakutt arbeitet oberflächlich gesehen ganz traditionell auf Leinwand, weiße Grundierung, mehrere Schichten Farbe - Mineralpigmente in Acrylbinder - Finish mit wenigen, aber bewusst und sensibel gesetzten Akzenten von Pastellkreide. Damit ist zwar der herkömmliche Bestandteil Ihrer künstlerischen Techniken benannt,  aber Nicola Rakutt und ihren Werken bei weitem nicht genüge getan. Um eine zusätzliche Struktur und Dreidimensionalität ihrer Werke zu erreichen, mischt Sie bereits in die Grundierung Asche und Quarzsand. In die verschiedenen, meist vier bis fünf Farbschichten werden nochmals Asche und partiell Quarzsand zugesetzt und sie bettet spielerisch, aber bewusst noch weitere Materialien wie Papyrus oder Elefantenhautpapier ein. Sie bringt nicht einfach nur Schicht für Schicht vorzugsweise mit dem Spachtel auf, sondern sie trägt die Schichten auch ganz gezielt wieder ab, kratzt mit Drahtbürste und Spachtel auch im übertragenen Sinne an der Oberfläche, deckt tiefere Schichten auf, betont zwar „Risse“, zeigt die Kratzer und Spuren des Lebens auf, verbindet aber auch die Schichten, verbindet das Gestern mit dem Heute und versöhnt alles in gleichberechtigtem Nebeneinander in hoher Ästhetik und menschlicher wie malerischer Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit. Das Finish mit der spärlich eingesetzten, aber leuchtenden und über allen Schichten aufgebrachten Pastellkreide setzt nicht nur Akzente, sondern verweist, auch als letzte Schicht in eine positiv gedachte und erhoffte Zukunft. Nicola Rakutt erzählt damit von Vergangenheit, Gegenwart und den Versprechungen der Zukunft, wie Sheherazade in den Erzählungen von „Tausend und einer Nacht“ und genauso lebensnah, phantasie-  und verständnisvoll für menschliche Gestimmtheiten, Regungen, Neigungen und Schicksale.

 

Die Farbigkeit der Nicola Rakutt ändert sich mit ihren Empfindungswelten. Malt sie heute überwiegend in ausgeglichenen, fast weise und heiter-stoisch wirkenden Weiß- und Grautönen oder wohlig warmen Farben, so sind die Bilder aus schwierigeren Zeiten in Rakutts Leben oder den Erinnerungen daran, überwiegend von kalten Farben wie Blau oder Schwarz geprägt, geprägt, aber nie ausschließlich beherrscht.  Man kann bei ihr zwar dieses dualistische Farbprinzip von warmen und kalten Farben durchaus wahr nehmen, es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass dies nur Grundtendenzen sind. So, wie eine Empfindung, eine Lebenssituation, der Zusammenklang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft niemals „einfarbig“ sein kann, so spielen auch bei Rakutt in den vorwiegend in kalten Farben gehaltenen Bildern doch auch zaghaft warme Farben, Lebensmut, verhaltene Hoffnung, die positiven Aspekte des Lebens mit hinein, die selbst inmitten düsterer Gestimmtheit immer wieder am Horizont erscheinen.  Und bei den von warmen Tönen oder von Weiß dominierten Bildern mischen sich auch düstere Farben, die trotz aller positiven Grundstimmung, Ernst, Vorsicht und Anspannung, Angst und das Wissen um die Zerbrechlichkeit der menschlichen Natur und des menschlichen Geistes hinein. Dualismen wie Schmerz – Freude, Abschied – Wiedersehen, Angst – Hoffnung,  werden in ihrer ganzen Vielschichtigkeit und – durch die Technik – auch in ihrem zeitlichem Werden und Vergehen gesehen, miteinander verschmolzen und weise als dem Menschen zugehörig, immanent verstanden und akzeptiert.

 

Dieses dualistische Prinzip siedelt sich auch kompositorisch im Werke Rakutts nieder. Viele ihrer Werke sind von „Grenzen“ geprägt, die ihrer Natur gemäß immer zwei Seiten haben. Doch diese Grenzen verlaufen nie gerade, manchmal haben sie Ecken und Kanten, manchmal sind sie vage, vielleicht sogar in Auflösung begriffen, manchmal windet sich der „Grenzverlauf“ wie eine mäandernde Flussbiegung in ein anderes, fremdes Terrain hinein, dringt vor und will alte Grenzen überwinden. Die Grenzen im Werk von Nicola Rakutt stehen für Grenzerfahrungen des Lebens allgemein aber auch für die Grenzen, die jeder Mensch für sich selbst zieht, und für den Wunsch der Grenzüberschreitung, ja den Appell zur Grenzüberschreitung. Nur derjenige, der Grenzen zuweilen auch überschreitet, kennt beide Seiten von Grenzen, kennt seine eigenen Grenzen und die von anderen Menschen, ist in der Lage, sich und andere Menschen zu „erkennen“, selbst Grenzen zu setzen und andere Grenzen zu respektieren. Und auch Abstand zu nehmen, im Sinne der Worte von Hugo von Hofmannsthal für das Libretto von Richard Strauss´ Oper „Rosenkavalier“, in dem er die Marschallin sagen lässt: „Leicht muss man sein, mit leichtem Herzen halten und nehmen, halten und lassen.“ Leichtigkeit mit menschlicher Substanz zu verbinden, dafür muss man schon eine große Persönlichkeit sein. Und Nicola Rakutt kann halten und nehmen, halten und lassen, in der Kunst, wie im Leben. Das macht sie persönlich und künstlerisch so authentisch und glaubwürdig.

Das Werk von Nicola Rakutt ist sehr intim und von persönlichem Erleben geprägt. Diese Intimität, die dem Betrachter dargeboten wird, nimmt ihn für Rakutts Kunst ein, nicht weil sie einen detailgetreuen, voyeuristischen Einblick in ein Seelenleben bietet, sondern weil der Betrachter erspürt, dass Erlebtes und Erfahrenes  intensiv durchdacht und durchlebt wurde und in den Aggregatszustand einer lebendigen, dem Menschen zugewandten, zutiefst philanthropischen Kunst transponiert wurde. Der Betrachter muss nicht dasselbe spüren, was Rakutt bei der Schaffung Ihrer Werke empfunden hat, nicht den Schaffensprozess nachvollziehen, um einen Zugang zu Ihrer Kunst zu finden, aber er kann die Empfindung, die Kraft des Empfindens und der Gedankenwelt der Nikola Rakutt wie ein magnetisches Feld erspüren. Und er kann ersehen, wie all das sich schillernd und wogend in den Gemälden befindet, immer neue Details entdecken und der eigenen Phantasie Raum geben, diese Bilder des Lebens für sich zu entdecken, in sie wie in einen packenden Roman einzutauchen. Und dass genau dies ihr Ziel ist, zeigt die Entwicklung der Nicola Rakutt: Die ständige Reduzierung auch der eigenen Person in ihren Bildern, die geringere Farbigkeit, die kompositorische Reduktion, der Wille, ihren Bildern mit weniger Farbe und Form mehr Inhalte und Dynamik zu verleihen und somit der Phantasie, den Gedanken des Betrachters noch mehr Freiraum zu geben, sich in ihren Bildern assoziativ und meditativ zu spiegeln. Und wenn der Betrachter sich angesichts der Werke von Nicola Rakutt diesem gedanklichen und emotionalen Prozess aussetzt, diese Werke als Katalysator für seine eigenen Strukturen zulässt, wird er durch den künstlerischen  Ausdrucks einer großen Persönlichkeit reicher werden.

 

 

Andreas Braun, Kunsthistoriker 2007